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DIE AUTORENFORMEL ‚DURCH’

 

Die schöpferische Tätigkeit des Menschen wurde im Laufe der Geschichte verschieden erlebt und schließlich gekennzeichnet.

 

‚Anonymus’

In der Vor- und Frühgeschichte geschahen viele Leistungen auf den Gebieten des alltäglichen Lebens aus dem religiösen Zusammenhang heraus. Das Individuum war in die Allgemeinheit und deren geistiges Umfeld eingebettet. Einzelnamen spielten keine Rolle. Sie  vergingen  schnell, wie auch die Leben der einzelnen. Neben den anerkannten Göttern waren die Impulsatoren solcher Kulturen nur kleinen Kreisen bekannt und für die Gruppenmitglieder in mythisches Dunkel gehüllt. Es gab keine Öffentlichkeit im heutigen Sinne. Auch 'Dokumentationen' kamen erst viel später auf.

 

Langsam traten religiöse Inspiratoren (z. B. Zarathustra) und Feldherren als Errichter und Führer großer Reiche (Menes), Baumeister kultureller Wahrzeichen (Imhotep) und Philosophen als Schöpfer besonderer Gedankensysteme (Pherekydes) aus der Namenlosigkeit in das Bewusstsein immer größer werdender Menschengruppen und somit in das Licht der allmählich tradierten Geschichte. Doch auch sie waren noch für ihre Zeitgenossen halbmythisch.

 

‚von’

Mit der Ausformung des Selbstbewusstseins, welches bei führenden Persönlichkeiten erheblich früher als in der Breite der Bevölkerungen begann, formten sich die  Unternehmungen Einzelner zunehmend eindeutiger heraus, weil sie immer mehr aus ihrer enger werdenden, aber doch eigenen Einsicht handelten. Die Inspirationsfähigkeiten nahmen ab. Die alten handlungsleitenden Empfindungen und Weltbilder gingen unter. Die frühere Selbstlosigkeit verwandelte sich in zunehmend egoistisch geprägte Handlungsformen.

Damit ist die geschichtliche Phase gekennzeichnet, wo das Wort ‚von’ zur Kennzeichnung der Urheberschaft und Verantwortlichkeit für das persönlich Geschaffene auftauchte. Die Intentionen  großer Persönlichkeiten konnten so mit ihren Licht- und Schattenseiten  durch besondere Verbreitungsverfahren, insbesondere seit der Erfindung des Buchdrucks, in mehr oder weniger große Menschenkreise, die zu Anhängern oder Gegner wurden, getragen werden.

Durch das Aufkommen von visuellen- und auditiven Medien und deren Computerisierung kam es im 20. Jahrhundert zu einer neuen Art der Verbreitung und gleichzeitigen Anonymisierung des Wissens, zu schnelleren und effektiver werdenden Kontakten und Handlungsvoraussetzungen in einer immer umfassender werdenden wissenschaftlich-technischen Zivilisation. 

 

‚durch’

Auch die Kennzeichnung der Autorenschaft mit ‚von’ hat ihre Zeit. Wer die Schöpfer großer Werke genauer kennenlernt, kann bemerken, dass ihr Streben über die persönlichen Eigenheiten hinaus geht. Sie suchen schöpferischen Anschluss an die umfassenderen menschheitlichen Ziele, ja an die ganze Große Welt, den Kosmos, zu gewinnen. Ihre Arbeiten atmen mehr oder weniger stark als geheime Ideale den ‚Hauch des Ewigen’ und bekommen dadurch eine oft erschütternde Tiefe (Beethoven, Bruckner). Sie erwerben sich Fähigkeiten, welche das Persönliche so erweitern, dass es sich in die Weltschöpfertätigkeiten eintauchen lernt und sich ihnen dabei anverwandelt.

 

Damit wird eine andere Nuance für das Werkschaffen maßgebend – Lebensstil und kosmische Schöpfungsmacht werden eins. Ein pionierhaftes Grenzerleben taucht daher in der heutigen Zeit auf. Ein ‚Hinüber- und Herüberwandern’ von der Tagseite in die Nachtseite des Lebens  und umgekehrt setzt ein.

 

Der Nürnberger Sinfoniker Martin Scherber nennt diesen Lebenstil ‚Über-Kreuz-Erleben’: „Man hat heute keine Ahnung, ... was es heißt im Dasein ‚über Kreuz erleben’: Im Innern nicht ich, sondern die Welt, außen nicht die Welt, sondern sich selbst...“  Diese erst einmal paradox erscheinenden Worte geben der Autorenformel ‚durch’ einen Sinn.

 

Die bei dieser Erweiterung des tatkräftigen menschlichen Bewusstseins errungenen Fähigkeiten werden vorbildhaft für das menschliche Streben, durch Wissenschaft, Kunst und Religion einen angemessenen Platz in der Großen Welt zu finden. Persönliches wird Individuelles, in welchem das Kleinste und das Größte, der Augenblick und die Ewigkeit, kurz eine erweiterungsmächtige und zukunftsträchtige Schöpferkraft geboren wird. Die Werkschöpfungsformel ‚von’ löst sich in die Kennzeichnung ‚durch’ auf, weil das Persönliche mit der Teilnahme an universellen Lebens-, Seelen- und Geistschöpfungsprozessen zum wissenschaftlichen, künstlerischen oder religiösen Berichterstatter über das Erlebte und Getane werden kann. Hier erreicht das ‚Werke-Schaffen’ zwar nicht seine letzte, aber eine neue Stufe.

 

Der betreffende Mensch wird zum ‚Tor’, durch welches Erkenntnisse der allen Erscheinungen zugrundeliegenden schöpferischen Quellen möglich werden, deren verborgene Existenz aber die Ursachen des allgemein verbreiteten menschlichen Strebens sind, ins "Innerste der Natur" dringen zu wollen. Der Weg dahin geht über die Ausbildung und Verstärkung der menschlichen Innenkräfte. Das ist ein Paradox und die Quintessenz der Formel 'Über-Kreuz-Erleben'. Erweist der Betreffende sich als würdig und fähig, dann kann er sich am Schöpfungsprozess der Welt im Sinne des Ganzen beteiligen. Das dazu nötigen Können wird durch disziplinierte 'seelische und geistige Techniken’, welche aus der wissenschaftlichen Arbeits- und Erkenntnismethode und ihrer Verstärkung durch künstlerisches Erleben zu entwickeln sind, errungen.

 

Die früher instinktiv, also wenig bewusst erlebte alte Welt der Götter und  die heute ganz aus dem modernen Bewußtsein und seinen Handlungsmaximen entschwundene Schöpferwelt wird mit neuen, bewußteren Fähigkeiten als Ursache aller Phänomene erkannt und ins Handeln aufgenommen.

 

‚Durch’ ist die Autorenformel der kommenden kulturellen Pioniere, der Erfüller der im ‚Von-Zeitalter’ hindurchklingenden tieferen Daseinsgründe, der Grenzgänger, die hinüber und herüber gehen – aus dem Bekannten in das Unbekannte, Neue Welten zu den oft tradierten als  "ausgeschöpft" erscheinenden Alten Welten  hinzu erschließen. Sie sind die eigentlichen Geburtshelfer für eine Zeit mit wahrem faustischem Entdeckungs- und Schaffenscharakter.

                                                                                                  F. M. Kurras                       

                                                                                                                                                 

 

 

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