Einige allgemeine Äußerungen von Martin Scherber zur Musik
"Die Melodie ist das geistige Element in der Musik, in ihr herrschen Logik und Phantasie. Auch wenn sie oft ins Seelische hineingeht, ist ihr Ursprung doch im Geistigen, in den oberen Sphären. Entsprechend ist die Harmonie das Element der Seele, der Gefühle, der unteren Sphären. Sie kann auch in andere Regionen eintauchen, ist aber in reiner Form eine seelische Macht." (3.4.1962)
Über das Erleben des Tones:
"Der einzelne Ton kann als ganze Symphonie erlebt werden. Das Erleben dabei kann aber nur als Tongebilde einer Symphonie vermittelt werden." (24.7.1967)
"Der Seher sieht keine Farben, ebensowenig wie der Komponist Töne hört oder man die Sphärenmusik im gewöhnlichen Sinne hören kann. Man erlebt geistig etwas und setzt das dann in Bilder oder Töne um."
"Musik als Erzieherin: Instrument sollen wir werden, auf dem wir spielen können. Wir verwechseln häufig noch Zweck und Mittel." (2.11.1964)
„Wenn ich musiziere, ist es so, als wenn ich hinter die Wände trete.“
Scherber zu seiner Musik: "in mitteleuropäische Form gefaßte Erlebnisse, die sich freilich im schöpferischen Erleben nicht als Töne offenbaren, sondern wesenhaft sind. Man muß den Tönen innerlich ‚auf den Leib rücken‘!" (30.4.1967)
„Ja, in der Kunst wird gedichtet – verdichtet, was weit wie die ganze Welt ist. Deshalb kann dann jeder daran wachsen, groß werden. Ein ‚Künstler’ ist eben nur ein wahrer, wenn er mehr und weiter erleben kann wie die übrigen Menschen. ... Lange Zeit wird vergehen müssen, bis die Menschen sich erschließen, was in diesen Symphonien enthalten ist. Sie sind nämlich aus einem Zustand heraus geschrieben, in dem alles, was der Mensch heute hat, überhöht ist. Das soll aber in aller Bescheidenheit angedeutet sein.“
(an Herbert Theuerkauff, Freund und Kursteilnehmer eines Arbeitskreises in Lüneburg - unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg; Brief an ihn Weihnachten 1971)
"Die Harmonien und Akkorde, die heute in der sogenannten modernen Musik auftreten, sind selten erlebbar. Die Leute wissen nicht, was sie da schreiben. Sie verstehen ihre eigenen Sachen nicht. Ich gehe lang mit einem Klang um und versuche ihn zu erleben." (Februar 1955)
"In der neueren Musik lebt die Tendenz, das Eigene des Tones zu überwinden, das Ich, den eigenen Willen an dessen Stelle zu setzen. Das Gefühl (Gewissen) wird ausgeschaltet. – Hindemith, Strawinsky." (20.3.1962)
Brief an GMD Hans Gierster 1971:
„Es lebt in mir die sichere Überzeugung, daß mit Atonalität und Geräusch der wahrhaft nach Erhebung durch Kunst Dürstende keine Befriedigung erfährt. Der wahrhaft schöpferische Künstler muß eintauchen können in unvergängliche, ewige Bereiche, dann wird seine Kunst das bringen, was heute als modern, zeitgemäß gefordert wird: Kunst aus Lebensbereichen geschöpft, in welchen die Gesetze der weltschaffenden Mächte – des Göttlichen – walten. Das Tor dazu schloß Goethe auf mit der Entdeckung der Metamorphosenlehre; es wird nicht entgehen, daß Metamorphose komplex in den Symphonien west.“
Brief an Kurt Eichhorn vom 14.2.72:
„Aber – es gibt heute schon einen sicheren Weg, wo vollste Über-Zeugung und wirklich Erhebendes gewonnen werden kann. ... Es liegt vor der modernen Menschheit eine eminent schwierige Forderung: Kultur war ursprünglich instinktiv Einheit von Wissenschaft, Kunst und Religion. In der Gegenwart sind diese drei vollständig getrennt, weshalb wir nur noch den Leichnam der Kultur haben. ... Hauptaufgabe in fruchtbare Zukunft hinein ist nun: diese drei durch Freiheitskräfte lebensvoll zu vereinen. Dazu muß aber Wissenschaft so vertieft werden, daß sie zu den Weltschöpfermächten vordringt – wodurch sie zugleich Religion ist; Religion so exakt-praktisch werden, daß sie das Gotteswirken bis in das kleinste Geschöpf verfolgen kann – wodurch sie zugleich Wissenschaft ist; Kunst von allem Phantastischen und Eigenwilligem so bereinigt werden, daß in ihr waltet ‚exakte (seherische) Phantasie‘ (Goethe) – wodurch sie lebensvoll zwischen Wissenschaft und Religion die Brücke schlägt.
Der toten Masse (ton-Masse) Leben und Geist einzubilden, wird dem modernen Künstler so lange mißlingen, als er gläubig der heutigen autoritativen Wissenschaft sich hingibt, die ihrerseits dem seltsamen Glauben huldigt: die ganze Welt wird 'atonal' – ohne All-Harmonie – von Atomen aufgebaut. Um Entscheidendes geht es in der modernen Menschheit, darum: in Lebensbereiche einzudringen...“
Brief an GMD A. Dressel, Nürnberg vom 17.5.1952
„Aus der Partitur werden Sie schnell ersehen haben, daß ich nicht zu den ‚Schlauen‘ gehöre. Diese erdenken sozusagen neue ‚Wortformen‘ und täuschen dadurch über Inhaltsarmut hinweg. Zu allen Zeiten aber war das Inhaltliche das Primäre, und dieses brachte seine Form mit sich. Wirkliche Kunst geht es immer um ewige Werte, d.h. um das, was der zeitliche – moderne – Mensch am allerwenigsten hat; wirkliche Kunst war deshalb noch nie modern und wird auch nie modern sein können. Gerade dadurch kann sie anregen und Führerin sein in eine heilvolle Zukunft.
Seit meiner Akademiezeit machte ich sämtliche Stile durch, komponierte ich in allen Stilen. Und dabei entdeckte ich, daß mir die 'moderne' Musik am leichtesten fiel. Meine Ehrlichkeit hielt mich aber bei jener Art Musik fest, bei der es in jedem Takt auf Eingebung, Inspiration ankommt. Konzentration – ins Zentrum führen – hängt ja immer mit dem Ich, dem Zentralen, Wesentlichen des Menschen zusammen. Unser Ich sollte ja schon im Alltäglichen zusammengliedern, Einheit – nicht Einförmigkeit – in unser Leben bringen. Wir schätzen ja auch jene Menschen am meisten, bei denen alle einzelnen Äußerungen wie aus einem Zentrum erfließen, die besonnen sind, d.h. etwas haben wie eine innere Sonne, ein inneres Zentralgestirn. Die Weiterentwicklung der Symphonie muß diese Ich-Geheimnisse zum Inhalt nehmen. Darin sehe ich eine Möglichkeit, einer heilvollen Zukunft den Weg zu bereiten.“
Brief an Alexander Sumski vom 30.5.1971
(Bukarest, später Tübingen: Universitätsmusikdirektor und Orchesterleiter):
"Es wird wohl nicht entgehen, daß diese Musik im Tiefsten der Seele erlebt ist und deshalb auch wieder tiefstes Erleben beim Hörer auslösen kann. Wer wahrhaft im Tiefsten erleben kann, wird nie das Experimentieren der Atonalen mitmachen. Richard Strauss sagte ja auch, als er gefragt wurde, warum er nicht atonal schreibe: “Wer tonal schreiben kann, braucht ja nicht atonal zu sein!“
Brief an Friedrich Gulda vom 6.9.1971:
„Die Atonalität... ist der verzweifelte und unmögliche Versuch, mit den gegebenen heutigen Seelenfähigkeiten erlebend an die Weltharmonien heranzukommen; dazu sind neue, die Erkenntnisgrenzen erweiternde Erlebnisse erforderlich.“ -
Brief an Wilhelm Kempff vom 3.6.1971:
„Wer wahrhaft Musik erleben kann, der wird sich nie auf dem Gebiet der Atonalität versuchen, er wird eindringen in das, was man Lebensbereiche nennt, und wird da walten finden das Prinzip der Metamorphose, wie es waltet in allem Lebendigen, wie es vor allem Goethe entdeckte als ‚Schlüssel‘ zunächst für das Pflanzenreich. Zugleich ist die Metamorphose – vor allem, wenn sie auf das menschliche Bewußtsein angewendet wird – die exakte und sichere Möglichkeit, die Erkenntnisgrenzen zu überwinden, und damit das Ewige, Unvergängliche, Göttliche in den Erlebnisbereich zu bekommen.“